Samstag, 2. Oktober 2010

Sachbearbeiter als Schlägerkomplizen des Vaters

Die Geschichte von Nourigs Schwester
ermordet im clan der Killerbestien


http://www.brigitte.de/gesellschaft/politik-gesellschaft/ehrenmord-1068029/

Ehrenmord: Die Zeugin

Ein sogenannter Ehrenmord. Waffa wurde von ihrem Vater getötet. Ihre Schwester wagt es, vor Gericht gegen die Familie auszusagen - eine lebensgefährliche Entscheidung.

Nourig Apfeld war Zeugin des "Ehrenmords" an ihrer jüngeren Schwester, begangen vom Vater und zwei Cousins. Sie hat acht Jahre darüber geschwiegen, bis es aus ihr herausbrach, vor zwei Jahren sagte sie dazu in einem spektakulären Prozess in Bonn aus. Sie musste untertauchen, aus Angst vor der Familie, ohne Zeugenschutz, den die Polizei ihr eigentlich hatte gewähren wollen. Drei Jahre lebte sie versteckt.

Sie lebt wieder öffentlich. Sie zeigt ihr Gesicht, auf dem Cover des Buches*, das sie gerade geschrieben hat, und den Kameras, auch der des BRIGITTE-Fotografen: präsent und ohne Scheu. Sie wundert sich selbst, dass sie das schon schafft, "wieder so ein Zeichen", sagt sie, "dass meine Ängste nicht mehr da sind".

Nach dem Tod der Mutter 1992 übernimmt Kaan, so nennt Nourig ihn im Buch, das Regiment. Ein Cousin, zwei Jahre zuvor aus Syrien gekommen, gewaltbereit im Namen der Ehre, so beschreibt sie ihn. Kaan wiegelt die Familie gegen Waffa auf und bringt den Vater dazu, sie zu einer verwandten Familie in die Türkei zu bringen und dort zwangszuverheiraten; Waffa ist gerade 14. Sie läuft den Verwandten davon, kehrt zwei Jahre später auf eigene Faust und hochschwanger nach Bonn zurück. Kaan nennt sie eine Schande. Ihren Sohn gibt sie bald nach der Geburt in ein Pflegeheim und verbietet der Familie jeden Umgang mit ihm. Bald ist sie kaum mehr zu Hause, lebt im Frauenheim, bei Freunden, auf der Straße, sie geht vor die Hunde, und das letzte Mal lebend sieht Nourig sie in Bad Godesberg, auf dem Bürgersteig vor einem Kino. Noch bevor sie sie ansprechen kann, läuft die Schwester davon.

Waffas Tod ist das kürzeste Kapitel in Nourig Apfelds Buch. Sie gibt ihn zu Protokoll, erzählt das Nötige: Am 29. August 1993 weckt der Vater sie um halb sechs Uhr morgens, er sagt: Steh auf, ich brauche deine Hilfe. Sie folgt ihm ins Wohnzimmer, Waffa sitzt zusammengesunken auf dem Sofa, halb heruntergerutscht, leblos, sie hat ein Seil aus Sisal um den Hals. Kaan steht mit seinem Bruder hinter dem Sofa und hält das Seil, er drückt es dem Vater in die Hand und fordert ihn auf, es Nourig zu geben, damit sie daran zieht. "Es sollte zu meiner Abschreckung dienen, dass ich nicht aufmüpfig werde wie Waffa", sagt Nourig. "Sie wollten mich haptisch wahrnehmen lassen: Das machen wir mit dir auch, wenn du nicht gehorchst. Aber ich habe nicht gezogen, ich habe es nur in die Hand genommen, wie ferngesteuert."

Die Männer legen den toten Körper in einen Pappkarton, fahren ihn zu einer Grube im Wald auf der anderen Rheinseite. Als der Vater zurück ist, fragt sie ihn: Wie konntest du das tun? Er sagt: Es ging nicht anders, zum Glück hat sie geschlafen. (...)

Hätte sich das Jugendamt in ihre Familie eingemischt, damals, Ende der 80er, als ihre Schwester verzweifelt versuchte, herausgeholt zu werden, "dann", sagt Nourig Apfeld und schaut mit ihrem ruhigen, beharrenden Blick, "würde Waffa noch leben". Doch die Sachbearbeiter glaubten den Lügen des Vaters, seine Töchter würden zu Hause nicht geschlagen, und nannten den Konflikt ethnisch und religiös bedingt. Als wären Schläge für Allah kein Verstoß gegen die Kinderrechte.